Die Vesperkirche als Knochenjob – Rainer Pfaff und Heinz Jäger in vollem Einsatz

Rund 20 gelbe Essensboxen transportieren Heinz Jäger (links) und Rainer Pfaff (rechts) täglich von der Ravensburger Weststadt zur Evangelischen Stadtkirche. Foto: Jasmin Bühler

Vor dem Hinterausgang der Evangelischen Stadtkirche in Ravensburg steht ein weißer Lieferwagen mit getönten Scheiben. Nur ein kleiner Firmenaufdruck auf der Fahrerseite verrät, dass es ein Mietauto ist. Ansonsten ist das Gefährt völlig unscheinbar. Aber der Eindruck täuscht. Denn der weiße Wagen gehört zu den wichtigsten Requisiten der 9. Vesperkirche: Mit ihm holen die ehrenamtlichen Fahrer Rainer Pfaff und Heinz Jäger täglich das Essen für die rund 500 Gäste ab.

Wenn Pfaff und Jäger morgens die Türen des Lieferwagens öffnen, dann strömt ihnen der Essensgeruch der vergangenen Tage entgegen. Es ist ein Gemisch aus Fisch, Kässpätzle und Leberkäse. Den penetranten Geruch bekommt man nicht mehr aus der Nase. „Wir fahren quasi den Speiseplan mit uns rum“, scherzt Pfaff und setzt sich hinters Lenkrad.

Ehefrau sorgt für Anmeldung

Der 66-Jährige aus Berg ist bereits im vierten Jahr für die Vesperkirche unterwegs. Immer als Fahrer. In diesem Jahr bekam er zum ersten Mal Unterstützung von seinem Freund Heinz Jäger aus Blitzenreute. Dass dieser als Helfer bei der Vesperkirche gelandet ist, hat er mehr oder weniger seiner Gattin zu verdanken. „Rainer hat uns von dem Job erzählt, und meine Frau hat mich angemeldet“, sagt der 71-jährige Heinz Jäger lachend, „so wie Frauen das halt machen.“

Pfaff und Jäger sind ein sympathisches Gespann. Herzlich, offen und lustig – sozusagen die Verkörperung der Vesperkirche. Dass den Rentnern zwei Wochen Arbeit in den Knochen steckt, merkt man ihnen nicht an. Jeden Tag sind sie ab 8.45 Uhr im Einsatz. Pausenlos, sieben Stunden lang. Am Morgen holen sie als Erstes das saubere Geschirr beim Sprachheilzentrum in der Ravensburger Weststadt ab. Gegen halb elf brechen sie erneut dorthin auf, um das Essen zur Evangelischen Stadtkirche zu bringen.

Essen wird vorgekocht

Dazu muss man wissen: Die Speisen werden in der Zentralküche der Zieglerschen in Wilhelmsdorf gekocht und anschließend heruntergekühlt. Bei ununterbrochener Kühlkette kann das Essen bis zu 72 Stunden ohne Qualitätsverlust gelagert werden. Erst unmittelbar vor der Ausgabe wird es wieder auf Verzehrstemperatur erwärmt. Diese Aufgabe übernimmt das Küchenteam im Sprachheilzentrum. „Cook and Chill“ (deutsch: „Kochen und Kühlen“) nennt sich diese Methode, die vor allem bei der Verpflegung von großen Massen angewandt wird.

Nach der Erwärmung im Sprachheilzentrum kommt das Essen in große gelbe Transportboxen. Diese wiederum verladen Pfaff und Jäger in ihren weißen Lieferwagen. Etwa 20 Boxen kommen da pro Tag zusammen. Eine Box wiege zwischen 20 und 30 Kilogramm, schätzt Fahrer Rainer Pfaff. „Aber heute hat uns der Koch versprochen, dass er Light-Käse nimmt, dann wird es vielleicht leichter“, schmunzelt der 66-Jährige. Doch bei allem Spaß an der Arbeit gibt Pfaff zu, dass der Job körperlich anstrengend ist. „Wir brauchen jedenfalls keine Frühgymnastik und kein Fitnessstudio“, meint er.

Probleme mit dem Ischiasnerv

Bei Heinz Jäger zwickt hin und wieder der Ischiasnerv. Nach seinem Einsatz lege er sich abends erst einmal zu Hause aufs Sofa und trinke ein Gläschen Wein, erzählt der 71-Jährige. Trotzdem bereut er nicht, dass er sich als Fahrer angemeldet hat – beziehungsweise seine Frau ihn angemeldet hat. „Es ist einfach interessant“, sagt er. Außerdem erfahre man auf diese Weise, was für eine Heidenarbeit hinter dem Projekt Vesperkirche stecke.

Ab 11.30 Uhr wird in der Vesperkirche das Essen ausgegeben. Schon Minuten vorher stehen die Menschen Schlange. Normalerweise sind Pfaff und Jäger spätestens um 11.15 Uhr bei der Stadtkirche, um die Transportboxen auszuladen. Doch selbst wenn es ein bisschen später wird, weil sich die beiden mit dem Küchenteam verplappern, lassen sie sich nicht aus der Ruhe bringen. „Die paar Minuten, das macht doch nichts“, sagt Heinz Jäger gelassen. Geblitzt wurden die beiden auf ihren Fahrten noch nie. Glauben sie zumindest. „Wobei, so ein Blitzerfoto von uns wäre auch mal schön“, findet Jäger.

Am Nachmittag fahren die zwei Rentner das benutzte Geschirr wieder in die Ravensburger Weststadt. In der Zwischenzeit holen sie noch Getränke, bringen Leergut weg und entsorgen den Müll. Aufgaben gibt es genug. Und immer mit dabei: der unscheinbare weiße Lieferwagen.

Jasmin Bühler

Schwäbische Zeitung, Ravensburg-Weingarten